Chronische Schmerzen
„Den Schmerz zu stillen ist eine göttliche Aufgabe.“
(Divinum est sedare Dolorem – Galenus 2Jht. nChr.)
Dieser alte Leitspruch hat Ärzte aller Zeiten herausgefordert. Die ärztliche Kunst umfasst auch eine große Anzahl von Möglichkeiten Schmerz zu bekämpfen und zu verhindern.
Haben Schmerzen einen Sinn?
Jedem Schmerz liegt ursprünglich ein krankhaftes Geschehen zugrunde. Das kann z.B. eine Verletzung, eine Entzündung, eine Verbrennung sein, oder etwas was Platzbedarf hat und auf eine Nervenendigung drückt. Daher wird vom Arzt immer versucht, die Ursache des Schmerzes zu finden und auszuschalten. Oft ist dies aber nicht möglich. Der Schmerz hat sich „selbständig“ gemacht: Nervenzellen leiten ein Schmerzgeschehen weiter, das gar keinem oder einem längst abgeklungenen krankhaften Prozess entspricht.
Langanhaltende Schmerzen zermürben und zerstören. Ob die Schmerzen vom Rücken, den Gelenken oder inneren Organen ausgehen, kein Mensch kann längerfristig schwere Schmerzen aushalten. Daher produziert der Körper selbst schmerzlindernde Substanzen (z.B. Endorphine). Die handelsüblichen Schmerzmittel ahmen die Wirkung der körpereigenen Kräfte nach, entweder unterdrücken sie Entzündungsfunktionen oder sie dämpfen das Schmerzerleben im Gehirn.
Jedem sind Schmerzmittel bekannt. Von ihnen gibt es im Wesentlichen zwei Klassen: abschwellende, entzündungshemmende, sog. „peripher“ wirksame: Dazu gehören u.a. Salicylsäure, Ibuprofen, Diclofenac die sog. „Rheumamittel“. Die andere Klasse sind die Schmerzmittel, die den Endorphinen nach empfunden sind: Morphium, Codein und alles natürlichen und synthetischen Varianten. Sie dämpfen das Schmerzerleben im Gehirn und werden auch Narkotika genannt. Die meisten von ihnen fallen unter das Suchtgiftgesetz, obwohl nur wenige Menschen, die sie nach ärztlicher Verordnung und kontrolliert nehmen wirklich Probleme mit dem Absetzen haben.
Doch nicht immer können Medikamente direkt helfen. Die Substanzen haben Nebenwirkungen und oft ist ihre Wirksamkeit zu kurz und zu schwach um wirklich Erleichterung zu bringen. Daher werden in der Schmerztherapie sehr erfolgreich andere, Konzepte angewandt. Dazu gehören Therapieformen die sich auf den Thalamus, das „Tor zum Bewusstsein“ und andere Strukturen des zentralen Nervensystems auswirken. Es geht hier eher um ein „Management“ als um die Unterdrückung des Schmerzes.
Chronische Schmerzen
Immer wieder wird der modernen Schulmedizin vorgeworfen „nur“ Die Ursache der Krankheit herausfinden und behandeln zu wollen, die Schmerztherapie und besonders die Behandlung von Schmerzen bei unheilbaren Krankheiten werde kleingeschrieben.
Dem ist eine Entwicklung zu medizinischen Einrichtungen mit stark humanitären Charakter entgegen zu halten: Hospiz, interdisziplinäre Schmerzambulanz und eine Liberalisierung der Suchtgiftverordnung erleichtern jedem Todkranken den Zugang zu ausreichend schmerzstillenden Medikamenten. Wenn Krebs oder eine andere bösartige Krankheit die Ursache für den Schmerz ist, gibt es viele Hilfen.
Schwieriger ist es Schmerzen zu bekämpfen, wenn die Ursache des Schmerzes nicht feststellbar oder nicht behebbar ist und der Betroffen sonst gesund wäre, also keine eingeschränkte Lebenserwartung hat. Der Arzt entschließt sich dann schwerer ein Suchtgift zu verordnen.
Schmerz ist eine klassische Teufelsspirale
Ein Schmerzreiz führt reflektorisch zu erhöhter Muskelspannung um der Ursache auszuweichen. Wenn ich aus eine heiße Herdplatte greife, reagiert mein Körper sofort mit einer Fluchtreaktion, die Muskeln ziehen meine Hand blitzschnell weg. Wenn aber die Ursache des Schmerzes in meinem Körper ist gibt es kein Fliehen, die Muskeln reagieren aber dennoch. Das heißt: Schmerz bedingt Verkrampfung der Muskeln und zwar der großen, die eine sichtbare Bewegung verursachen können aber auch der kleinen, die nur zur Feineinstellung der Gelenke und Sehnen dienen. Zusätzlich verursacht die Angst vor Schmerzen eine Übererregung des „Aufwecksystems“ im Hirnstamm und dadurch eine Bahnung der Erregung der schmerzverarbeitenden Zentren in Gehirn und Rückenmark, dadurch werden den Schmerzimpulsen die Wege geöffnet. Prinzipiell ist diese Abfolge sinnvoll, da es uns die Ursache des Schmerzes zu bekämpfen erlaubt. Bei chronischen Schmerzreizen wird sie aber zum Teufelskreis. Für kurze Zeit kann der Schmerzkreislauf durch Schmerzmittel durchbrochen werden. Oft reichen einige Stunden Schmerzfreiheit aus um dem Körper die Entspannung zu bieten, die er benötigt um sich selbst zu heilen: Bei einem „Hexenschuss“ kommt es durch eine unglückliche Bewegung zur Überdehnung der Bänder und der Muskulatur im Lumbalbereich, die Muskeln reagieren durch Anspannung machen dadurch die Beschwerden noch schlimmer. Ein Schmerzmittel, das die Muskeln entspannen läßt wirkt hier oft Wunder: nach einigen Minuten bis Stunden ist man schmerzfrei.
Wenn aber mehr als eine Verspannung oder Entzündung als Ursache des Schmerzes vorliegt müssen auch andere Mittel zum Einsatz kommen.
Um sinnvoll in diesen Teufelskreis eingreifen zu können, ist es notwendig ein größeres Repertoire an therapeutischen Möglichkeiten zu haben. Ich möchte einige dieser Therapieformen hier erwähnen, sie werden zum Großteil ambulant durchgeführt (die Ausschöpfung aller Therapiemöglichkeiten mit klassischen Schmerzmitteln setze ich voraus):
Antidepressiva und Neuroleptika
Diese Substanzgruppe hat viele Eigenschaften: z.B. lindern sie auch Angst, machen bessere Grundstimmung, ausgeglichener und verändern das Schmerzerleben, die Schmerzschwelle. Schmerz wird von einem Schmerzrezeptor aufgenommen im Rückenmark umgeschaltet und dann über den Thalamus (Zwischenhirn) dem Bewusstsein zugeführt. Im Thalamus gibt es Synapsen (Nervenzellverbindungen), die für das Schmerzerleben verantwortlich sind.
Diese spezifischen Synapsen der Schmerzbahnen werden bei längerem Bestehen der Schmerzen immer empfindlicher. Durch Antidepressiva werden sie wieder auf ihre ursprüngliche Empfindlichkeit zurückgestellt. Es ist also nicht gesagt, dass eine Depression vorliegt, wenn ein Arzt zur Schmerzbekämpfung Antidepressiva verordnet.
Epilepsiemedikamente
Schmerzsyndrome, bei denen die Schmerzen aus einer Selbstentladung der Nervenzelle selbst entstehen kann man als Nervenschmerzen bezeichnen. Diese zeigen keine in anderen Organen nachweisbaren Ursachen. Sie entstehen durch Reizung bzw. Entzündung der Nervenzelle selbst – wie z.B. bei der Gürtelrose (Herpes Zoster) oder andere Nervenentzündungen mit weniger gut nachweisbaren Erregern. Bei diesen rasch einschießenden Schmerzen, die nur für Sekunden anhalten aber oft viele hunderte Male am Tag auftreten spricht man von einer Neuralgie. Durch spezielle Untersuchungen des Rückenmarkes bei diesen Schmerzen hat man festgestellt, daß die für diese Schmerzen verantwortlichen Nervenzellen Entladungen wie bei Epilepsie aufweisen. Das erklärt die bereits viele Jahrzehnte bekannte gute Wirksamkeit von Carbamazepin bei diesen Schmerzen. Manchmal haben die Nervenschmerzen auch eine andere Charakteristik und Ursache: nicht selten treten sie als Zahnschmerzen auf, der Zahnarzt findet aber keine Ursache.
Andere Formen von Nervenschmerzen sind von Anfang an chronisch, schleichend anfangs kaum wahrnehm- und schlecht beschreibbar. Später werden diese Schmerzen oft intensiv vor allem in Ruhe, bei Wärme z.B. im Bett – gelegentlich auch bei Kälte: Neuropathieschmerzen. Sie treten auf wenn die Nervenbahnen in ihrer Leitfähigkeit gestört sind. Für die zugrunde liegende Erkrankung – die Neuropathie gibt es viele Ursachen: Diabetes, Nahrungsgifte, Alkoholismus, Blutkrankheiten und viele andere. Meistens erkennen wir diese Erkrankung erst, wenn die Symptome schon recht stark sind. Auch hier können Epilepsiemedikamente helfen: z.B. Gabapentin bzw. Pregabalin.
Transcutane Elektro Neurostimulation – TENS
Diese einfache und nebenwirkungsfreie Therapieform wirkt bei Schmerzen in einem bestimmten Körpersegment. Ein kleines Gerät – in der Größe einer Zigarettenpackung gibt über Kabel kleinste Stromstöße auf eine zuvor festgelegte Hautregion ab. Über die Hautinnervation werden die Reize ans Rückenmark weitergeleitet. Die elektrischen Impulse überlagern dann an der entsprechenden Zelle im Hinterhorn die Impulse des Schmerzreizes. Es kommt in der Folge auch zu muskulärer Entspannung und die Schmerzen sind oft langfristig ausgeschaltet. Diese Therapieform kann auch angewendet werden um Nerven und Muskeln, die aufgrund von verschiedenen Ursachen nicht mehr gut versorgt werden wieder zur Regerenation zu bringen. Dieses Gerät wird bei entsprechender Indikationsstellung auch von der Krankenkasse gezahlt.
Neuraltherapie und Infiltrationstherapie
Durch die Injektion eines Lokalanästhetikums wirkt diese Therapie schnell, stark und fast ohne Nebenwirkungen. Der wesentliche Mechanismus läuft über die Entspannung der Muskulatur, die sich im angespannten Zustand weder regenerieren noch entspannen kann. Weiters können über die Behandlung von Narben Störfelder ausgeschaltet werden. Oft bringt die Neuraltherapie innerhalb von wenigen Sekunden anhaltende Schmerzfreiheit (Sekundenphänomen). Die Muskeln können sich entspannen und werden mit Blut und Glukose versorgt, sodaß sie sich wieder erholen können.
Akupunktur
Die Anwendung von Akupunktur in der Schmerztherapie ist bestens belegt und wirkt sicher. Dies haben nicht nur Milliarden von Menschen in China über 3000 Jahre hindurch erfahren, sondern auch viele Millionen Betroffene der westlichen Welt, die keinerlei Gedanken an traditionelle chinesische Heilmethoden, Yin und Yang, fünf Elementelehre usw. aufwendeteten.
Hypnotherapie
Nicht nur Hypnose, sondern auch Entspannungsverfahren wie progressive Muskelentspannung nach Jacobson, Autogenes Training, Erikson’sche Entspannung und eine eigens entwickelte Suggestionstechnik helfen nicht nur bei Hochdruck, Stressproblemen sondern auch bei Schmerzen. Hier geht es vor allem darum sich selbst die Zeit und Ruhe zu gönnen, die der Körper braucht um wieder „heil“ zu werden. Nachlassen von Muskeltonus, Steigerung des Hautwiderstandes und Senkung der Herzfrequenz können mit einem Biofeedbackgerät gemessen werden und dem Patienten den Entspannungszustand zurückmelden.
Schmerztherapie ist eines unserer wichtigsten Betätigungsfelder. Erfahrungsgemäß ist eine sehr genaue Anamnese über die Entwicklung und Art der Schmerzen, sowie aller bisherigen Maßnahmen zielführend. Außerdem können ein Schmerztagebuch bzw. Aufzeichnungen über bereits verwendete Pharmaka viele Vorteile bringen. Schmerz ist ein sehr komplexes Problem und um helfen zu können benötigt der Arzt viel Information, ganzheitliches Denken und Aufgeschlossenheit gegen über neuen und alternativen Therapieformen. In unsrer Praxis ist dies durch die Zusammenarbeit von Neurologie, Anästhesie und Psychiatrie möglich.