Sexualität
Im eigenen Körper sein – Ganzheitlichkeit erleben!
In der ärztlichen Sprechstunde ist Sexualität kein Tabu mehr. Im Gegenteil: Sexualität gehört zu den Grundfunktionen des menschlichen Lebens und bei einer sinnvollen ganzheitlichen ärztlichen Behandlung, ist das Thema Sexualität dabei ein wesentlicher Baustein.
Die menschliche Sexualität ist, obwohl so basaler Teil des Seins, extrem vielfältig und reich an Varianten, wie das menschliche Leben und die Kulturen selbst. Es gibt daher keine allgemein gültigen Empfehlungen, wie oder was guter Sex sein kann oder sein muss. Auch in der Frage, was erlaubt ist und was nicht, sind die Grenzen kulturell in den letzten fünfzig Jahren sehr viel weiter gesteckt worden. Wenn überhaupt Normen gesetzt werden, so gehen diese sicher nicht von Ärzten aus. Das alles gilt allerdings nur, wenn Freiwilligkeit und ausreichende Urteilsfähigkeit vorliegen.
Wie wir alle wissen, haben aber viele Menschen bereits in sehr frühen Jahren ganz schlimme und belastende, keinesfalls schöne Erfahrungen mit Sexualität machen müssen, wurden zusätzlich durch Tabuisierung zum Schweigen gezwungen und durch Moralisierung in den fixen Glauben getrieben, schlecht bzw. böse zu sein.
Sexuelle Thematiken sind daher sehr oft eine wichtige Basis zum Verstehen von Problemen in anderen, scheinbar damit gar nicht zusammenhängenden Bereichen. In Psychotherapie oder psychotherapeutischen ärztlichen Gesprächen können diese Thematiken angesprochen werden, weil viele Belastungen, Verletzungen und Traumata mit Sexualität zusammenhängen oder durch sie verursacht wurden.
Daher beschränkt sich mein Beitrag auf den medizinischen Teil der Sexualität: auch darüber wird erst seit wenigen Jahrzehnten in Fachkreisen gesprochen und es gibt immer wieder ungeklärte Phänomene oder Missverständnisse.
Störungen der männlichen Sexualität
Kaum ein Thema, das so stark einem Tabu unterworfen ist wie die männliche Sexualität. Gerade in einer Zeit, in der uns von jeder Plakatwand, aus jeder Zeitung, im Fernsehen, uns natürlich auch im Internet ständig Sex-Symbole entgegenstarren, gerade in einer Zeit, in der sich jeder, der auf sich hält „outet“, gerade jetzt ist der Mann, der mit seiner Männlichkeit Probleme hat, oft allein. Aber das muss nicht so sein.
Rede, Mann! – In der ärztlichen Sprechstunde ist kein Platz für Tabus
Die sonst so mutigen Männer sind bei Sprechen über Gefühle und über Sexualität oft sehr zurückhaltend. Ist es Angst oder Scham? Ohne, dass über die Probleme konkret gesprochen wird, kann kein Arzt der Welt helfen.
Probleme der Männer – nicht nur ab vierzig!
Lustlosigkeit, Erektionsstörungen und Ejaculatio präcox gibt es in jedem Lebensalter – und Sie sind nicht allein damit: drei von vier Männern haben gelegentlich Probleme mit ihrer Sexualität. Aber Probleme sind keine Schande, sondern Rückmeldungen des Körpers über gewisse (vielleicht krankhafte) Veränderungen oder Belastungen.
Erektion als Maß der Befindlichkeit
Sexualität, spricht sehr sensibel auf Dinge, die uns gar nicht wirklich bewusst sind, wie Gesundheit und Befindlichkeit an. Das sehr empfindliche Zusammenspiel von Trieb, sexueller Appetenz (Lust auf Sex, Libido), die durch äußere Reize geweckt wird und Triebverzicht, sei es durch Disziplin, Zurückhaltung oder mit Rücksicht auf soziale Komponenten, kann nicht immer bewusst gesteuert werden. Während viele Männer in der Jugend oft sehr stark heftiges sexuelles Verlangen verspüren, nimmt dies mit zunehmenden Alter ab und wandelt sich über ein Stadium der „Beherrschung“ in sexuelles Desinteresse. Dies kann einem normalen Reifungsprozess entsprechen, kann aber auch Folge einer Krankheit sein und sollte dann mit dem Arzt besprochen werden.
Formen der Impotenz
Ärzte unterscheiden zwischen Libido-Verlust, Erektionsstörung (erektile Dysfunktion, „Impotenz“ im engeren Sinn) und Zeugungsunfähigkeit. Während die letztere nur dann relevant ist, wenn Kinderwunsch besteht und eine rein urologische (andrologische) Fragestellung beinhaltet, spielt sehr oft bei der Erektionsstörung eine Nerven- oder Gefäßerkrankung eine Rolle. Oft gehen aber Erektionsstörung und Libidominderung Hand in Hand.
Verminderte Libido
Manchmal verbirgt sich hinter dem verminderten Sexualtrieb ein krankhaftes Geschehen, welches – rechtzeitig behandelt – nicht nur die Vermeidung einer schwereren Krankheit, die sexuelle Gesundung, sondern auch eine erfüllte und glücklichere Partnerbeziehung zur Folge hat.
Konkret: die häufigste Ursache für Verlust von Libido beim Mann ist eine depressive Verstimmung, Midlife-Crisis, Depression oder das sog. Burn-out-Syndrom. Statistisch gesehen seltener sind Blut-, Herz- oder Gefäßkrankheiten oder Krebs beteiligt.
Körperliche Ursachen
Verlust der Erektionsfähigkeit kann die Folge einer Zuckerkrankheit sein, die dann meist schon länger bekannt ist. Dieses Symptom tritt aber auch bei Leberschäden auf und am häufigsten bei Nervenzerstörung (Neuropathie) als Folge von Alkoholismus. Die Impotenz ist oft eines der ersten körperlichen Symptome dieser toxisch bedingten Nervenkrankheit. Weiters ist sie nicht selten das erste Zeichen einer Gefäßerkrankung, die meist durch Rauchen verursacht wird.
Wie können Ärzte helfen?
Es wird eine Untersuchung, welche Form der sexuellen Funktionsstörung vorliegt, durchgeführt: Diese leitet der Urologe, der Gefäßspezialist oder der Neurologe. Es ist eine Laboruntersuchung (Blutbild, Leber-, Nierenbefunde, Blut- bzw. Harnzucker) und meist auch ein Ultraschall der Beckengefäße notwendig. Manchmal wird auch die Nervenleitgeschwindigkeit gemessen oder ein Röntgen gemacht. Ist die körperliche Ursache ausgeschlossen, ist es sinnvoll, die seelische Seite zu überprüfen.
Behandlung erfolgt durch Beseitigung der Ursachen, bzw. Verbesserung der Durchblutung der Schwellkörper sog. PDE-5 Hemmer, leber- bzw. nervenspezifische Medikamente.
Im Falle einer psychischen Störung können Gespräche, Verhaltenstherapie, Sexualtherapie, unter Umständen auch Medikamente helfen.
Wie kann ich selbst erkennen, ob eine Libidominderung oder eine „erektile Dysfunktion“ vorliegt?
- Ich habe Erektionen, aber nicht wann es nötig ist bzw. nicht ausreichend lange.
- Es gibt Erektionen und Samenergüsse im Schlaf.
- Das Interesse an meiner Partnerin bzw. an Sex ist geringer geworden.
- Fühle mich oft gereizt und ruhelos.
- Ich leide unter Schlafstörungen.
- Erlebe ich mein ganzes Tun und Wirken als sinnlos?
- Bisher war ich immer gesund.
- Ich fühle mich im Beruf und Privatleben stark belastet.
- Wozu ich früher oft Lust hatte, macht mir keinen Spaß mehr.
Wenn mehr als die Hälfte der Sätze auf sie zutreffen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine seelische Ursache vorliegt, größer, sonst liegt eher eine körperliche vor.
Störungen der weiblichen Sexualität
Auf vielen Ebenen kann die Sexualität beeinträchtigt sein: Das körperliche und seelische Befinden drückt sich durch Interesse an sexuellen Aktivitäten (Libido) aus. Aber trotz großem sexuellen Verlangen ist es vielen Frauen nicht möglich, beim Geschlechtsverkehr zum Orgasmus zu kommen. Dieses zu lernen, ist eine Aufgabe, die den Partner natürlich miteinbezieht. Zusätzlich sind körperliche Beschwerden für viele Frauen ein großes Problem. Meist gibt es gute tragfähige Lösungen, wenn es Frau gelingt sich zu entspannen und das Unbewusste zuzulassen.
Sexualität – intensivste Form menschlicher Kommunikation Tabu in einer Zeit ohne Tabus
Unsere Journale und Bücherläden sind voll von Aufklärungsliteratur. Videobänder über den Orgasmus und das Kamasutra gehören in vielen Haushalten zum Standardinventar. Schon in der Volksschule lernen unsere Kinder über Sexualität. In der Pubertät und danach bleibt sie dann „Thema Nummer 1“. Die Grundsteine für unsere Vorstellungen über Sexualität und die Verhaltensnormen werden gelegt und später selten hinterfragt. Für die meisten von uns sind in der Jugend die „Richtlinien“ entstanden, wie Sexualität zu sein hat. In einer Leistungsgesellschaft ist auch Sex zu einer Leistung geworden. Während wir aber viel über Sex reden, ist es uns oft nicht möglich, wirklich zu sagen, was uns Spaß macht, was uns erfüllt. Ist die Qualität der Quantität gewichen?
Orgasmuspflicht
Die Erwartung, die nicht zuletzt auch von Männern an Frauen gestellt wird, zu „kommen“, wird zum „Muss“. Einschlägige Filme zeigen, dass es immer und sofort geht. Kaum ein Mann, der nicht seine Partnerin „be-friedigen“ will. Diese Erwartung hemmt und blockiert viele Frauen, sie spielen mit, ohne sich selbst zu spüren. Sie können ihren Körper und seine Reaktionen nicht annehmen, wie er ist und wie er reagiert, sondern glauben einer Norm entsprechen zu müssen. Daraus ergibt sich ein Teufelskreis: ein Gefühl vorzuspielen, das ich nicht habe, bewirkt, dass ich mich außerhalb meiner selbst befinde, dadurch habe ich noch weniger Gefühle und bin noch weiter draußen.
Libido- und Orgasmusstörungen, Trockenheit der Scheide
Der sexuelle Reaktionszyklus (der übrigens bei Mann und Frau im Prinzip gleich ist) setzt sich zusammen aus:
- Erregungsphase
- Plateauphase
- Orgasmusphase
- Rückbildungsphase
Jede dieser Phasen benötigt eine gewisse Zeit und Stimulierung durch entsprechende Reize. Welche Reize stimulieren, wie der Körper darauf reagiert und was weiter geschieht, hängt von sehr vielen Faktoren ab, am wenigsten, von unserem bewussten Wollen! Wenn die Reize Gerüche bzw. Pheromone sind, können wir sie meist nicht wahrnehmen. Der Monatszyklus hat Einfluss. Stress, Belastungen, gedankliche Beschäftigung mit wichtigen Dingen kann uns blockieren. Somit ist es schwierig, durch gezielte Verhaltensmaßnahmen das sexuelle Erleben zu verbessern. Aber es geht durch indirekte Dinge, wie Entspannung, lockere Grundeinstellung, Abstand von Belastungen usw.
Schmerzen, Vaginismus
Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und Scheidenkrampf (Vaginismus) haben meist eine mehr oder weniger erinnerbare Vorgeschichte, die mit Trauma, Enttäuschung, Verboten und anderen beeinträchtigenden Erlebnissen in einer früheren Lebensphase einhergeht. Das Gleiche gilt für Infekte: Scheidenpilz, Herpes, Bakterieninfektionen und Harnwegsinfekte können auch von alten Verletzungen herstammen. Es gibt natürlich auch andere, viel direktere Ursachen, aber manchmal muss man schon in die Vergangenheit gehen und Erklärung und Hilfe zu finden.
Ist gesunde Sexualität gesund?
Guter Sex zeigt an, dass wir – und unsere Beziehung – weitgehend gesund sind und regelmäßiger Sex trägt auch zur Gesundheit bei. Diese einfache Erkenntnis haben wissenschaftliche Studien erst in den letzten Jahren „entdeckt“, obwohl es in der Volksweisheit schon lange bekannt war. Daher ist Sexualtherapie nie nur eine Therapie der sexuellen Funktion und Sexualmedizin befasst sich nicht nur mit den sexuellen Störungen. Jeder ganzheitlich denkende Mediziner bezieht die Sexualfunktion, bzw. Störungen in seine Überlegungen mit ein. In der Behandlung von Depression, Angst, Stressfolgen usw. ist es eine hohe Kunst auch erfüllte Sexualität zu erzielen. Wesentlich ist, dass diese Thema angesprochen wird.