Vergesslichkeit, Alzheimer

Altersvergesslichkeit oder Alzheimerkrankheit?

Nicht immer heißt „Vergesslichkeit“, dass eine hirnorganische Erkrankung vorliegt.

Fragen und Antworten zum Thema

„Das habe ich vergessen!“, wenn dieser Satz in ihrem Alltag häufiger wird, ist es Zeit den Neurologen aufzusuchen. Keine Angst, auch wenn das Alzheimer-Schreckgespenst durch Presse und Gesellschaftstratsch geistert, diese Krankheit ist keineswegs so häufig, wie wir darüber hören.

Warum dann zum Arzt? Die Antwort ist einfach: Es gibt einige – behebbare Missstände und gut behandelbare Krankheiten, die zu vorübergehender Vergesslichkeit führen. Ein medizinischer und psychologischer Check-up schafft Klarheit und meist auch Abhilfe.

Wie speichern wir?

Zunächst muss über den Vorgang des „Einspeichern“ von Information einiges gesagt werden:

Die ankommende Information (z.B. gehörtes Wort) besteht nie allein aus der Repräsentation des einen Sinnesreizes, also Ton (auf anderer Ebene auch Bild, Geruch, Geschmack oder Gefühl). Sie wird immer mit einem oder mehreren anderen Sinnesrepräsentations-systemen verknüpft (Ton, mit dem Bild vom Gesicht des Sprechers oder dem Gefühl, das man hatte, als man die Stimme hörte …) und ergibt so einen für diesen speziellen Reiz einzigartigen (holographischen) Code aus Repräsentationsystemen. Dieser Code kreist als Impuls in einer Art „Schaltkreis“ im Mittel- und Zwischenhirn, wodurch die Abspeicherung der einzelnen Inhalte in die spezifischen Sinnesrepräsentationsfelder möglich wird. Dieses Abspeichern braucht eine Weile, dann ist der „Schaltkreis“ wieder frei für das nächste Informationsdetail. Die Zahl der Details, die pro Zeiteinheit aufgenommen werden können, ist begrenzt (9+/-2). Die Abspeicherung wird durch Neurotransmitter (Serotonin, Acetylcholin, Endorphin …) begünstigt.

Wie kommt es zu schleichend zunehmender Vergesslichkeit?

Abhängig vom Lebensalter sind verschiedene Antworten auf diese Frage sinnvoll:

Bis 35, 40 Jahre sind Veranlagung (z.B. mathematisch) und Gefühle (Interesse, Ablehnung) von entscheidender Bedeutung, welche Information gespeichert wird. Durch Schulung entwickeln wir Lernstrategien, auch weniger interessante Inhalte zu erwerben. Dieser Mechanismus hilft uns beim Erlangen von Wissen und Kompetenz. Im Stress, wenn zu viel auf uns einströmt, kommen wir aber auf unsere ursprünglichen, rein instinktiv betonten Mechanismen zurück und die innerlich abgelehnten Inhalte werden nicht eingespeichert, auch wenn sie objektiv vielleicht wichtig gewesen wären (z.B. Termin mit der Mali Tante, die uns zur Wohnung – vielleicht – einen Zuschuss geben will, die wir aber hassen, weil sie so viel redet.). Bei einem Mangel an Transmittersubstanzen bei Depression oder Krankheit wird Abspeichern schwieriger.

Ein zusätzlicher Faktor, der uns Probleme mit komplexen Denken oder Erinnerungen machen kann, ist eine emotionale Beschäftigung bzw. Überlastung. z.B. Jeder weiß: Liebe macht blind. Wir Neurologen meinen: Liebe bzw. Verliebtsein beschäftigt den Großteil unserer Denkwerkzeuge. Das Ergebnis: die/der Verliebte wird in vielen Bereichen, die zur sog. Intelligenz zählen, weniger leistungsfähig sein, als derselbe Mensch, wenn er emotional ausgeglichen ist. Dadurch sind auch das Abrufen und Einspeichern von Erinnerungen, aber auch Konzentrieren auf bestimmte Dinge und komplexere (strategische) Denkvorgänge erschwert. Das kann natürlich auch auftreten, wenn uns Probleme schwer belasten, z.B. bei Trauer, Angst oder beim Wiedererleben von schlimmen Dingen, die wir aus der Vergangenheit kennen.

Mit 50 bis 60: Mit Fortschreiten der Reife erlangen wir zunehmend Routine, uns auch Inhalte, die wir emotional ablehnen, rasch einzuspeichern. So wie wir auch Wir benützen Tricks uns zu motivieren. Daraus kann um die Mitte des 5. Lebensjahrzehnts eine emotionale Erschöpfung, ein ausgebrannt sein, eine Krise entstehen. In der wir das Gefühl haben, alles sei schon bekannt, nichts mache mehr Spaß. Auch hier spielen die Transmitter eine Rolle. Wenn sie von außen zugeführt werden, funktioniert auch unser Gedächtnis besser.

Der Übertritt in den Ruhestand sowie jede weitere Reduktion an angebotenen Reizen (Tod eines Partners, Zurückgezogenheit, Vereinsamung …) bewirkt nicht nur eine emotionale Reduktion und Depression, sondern auch das Verlernen der Gedächtnisroutine. Das Gehirn, das nicht trainiert wird, verliert seine Fähigkeiten, wie die Muskeln eines Bettlägerigen.

Diese Tatsache gilt interessanterweise nicht nur für den gänzlich gesund alternden, sondern auch für Menschen, deren Gehirne Abbauspuren aufweisen.

Wer rastet, der rostet … Trainingsprogramme:

Reduktion von Gedächtnisleistung hat nicht unbedingt mit Reduktion der Gehirnmasse zu tun und umgekehrt. Es ist daher in jedem Fall sinnvoll, Trainingsprogramme für das Gehirn zu suchen und anzuwenden.

Dazu gehören vor allem Tätigkeiten, die uns auf möglichst vielen Sinnesebenen herausfordern. In erster Linie ist hier der menschliche Kontakt, der Dialog zu erwähnen. Ob Kaffeehaus, Volkshochschule oder Universität, mit fortgeschrittenen Alter kann man von diesen Tätigkeiten nur profitieren. Auch Bewegung wie Turnen und Tanzen, vor allem das Neuerlernen von Tänzen sind Herausforderungen an alle Sinne und das Gehirn. Gesellschaftsspielen, Strategiespielen kommt ein großer Stellenwert zu. Wenn kein zwischenmenschlicher Kontakt möglich ist, helfen auch Denksportaufgaben und Lesen, das die geistige Elastizität über die Vorstellungskraft schult. Zur Not tun es auch Fernsehen, Computerspiele und Internet. Sicherlich zu Verschlechterung der geistigen Leistungsfähigkeit führen auch bei Gesunden Rückzug, Reizabschirmung und anhaltend negative Stimmungslage. Wenn zusätzlich Alkohol in der Größenordnung von über 3/8 Wein pro Tag konsumiert wird oder wenn Schmerztabletten genommen werden müssen, ist dem geistigen Abbau jedes Tor geöffnet.

Dies alles sind Gründe, unabhängig von dem tatsächlichen Hirnschwund, der sogenannten „Altersverkalkung“ zu verfallen.

Was weist nun auf Alzheimer hin?

  • Vergesslichkeit, die der Betroffene selbst kaum merkt
  • Erhalten eines tadellosen Äußeren (Fassade), bei zunehmender innerer Verwahrlosung
  • Verlust einzelner zunächst umschriebener Fähigkeiten (z.B. Rechnen)
  • unerklärliche Vorkommnisse, Verschwinden von Gegenständen, Verirren
  • Aufhebung der Tag-Nacht Struktur

Wie können Neurologen Alzheimer-Krankheit diagnostizieren?

Es ist nach wie vor schwierig, diese Krankheit mit großer Sicherheit nachzuweisen. Leichter ist es, sie auszuschließen.

Aus der Vorgeschichte, Verlauf und dem psychiatrischen Status kann schon ein Großteil der Information gewonnen werden. Weiter helfen Elektroenzephalogramm, psychologische Tests und bildgebende Verfahren, z.B. die Magnetresonanztomographie. Durch spezielle Markierungssubstanzen kann der für die Alzheimer-Krankheit typische Abbau von Hirnstrukturen nachgewiesen werden. Schließlich können aus der Rückenmarksflüssigkeit bestimmte Eiweiße nachgewiesen werden, deren Anteil bei dieser Krankheit erhöht ist. An einem genetischen Nachweis wird gearbeitet.

Gibt es Hilfe?

Zu Zeit können wir bei Alzheimer noch keine Heilung bewirken. Aber es ist allgemein bekannt, dass bestimmte Faktoren den Verlauf verzögern können.

Ganz entscheidend: rechtzeitiger Beginn von mentalen Trainingsprogrammen. Hier sind nicht nur die oben angeführten allgemeinen Methoden sinnvoll, sondern auch speziell entwickelte Aufbautrainings für das Gehirn. Diese werden durch Psychologen, Seniorenzentren und Memory-Kliniken angeboten.

Verabreichung von nootropen, hirnleistungs-erhaltenden Medikamenten. Dazu gehören Substanzen, die den Neurotransmitter Acetylcholin in bestimmten Regionen des Gehirns anreichern. Diese Medikamente sind sehr teuer und haben auch Nebenwirkungen, sodass Verordnung und Kontrolle dem Facharzt überlassen ist.

Etablierung eines sozialen Netzes für den Betroffenen und den/die Angehörigen. Ein an geistigen Abbau erkrankter Mensch benötigt eine möglichst stabile Umgebung. Wechsel von Wohnung, Bezugs- oder Pflegeperson werden als extrem ungünstig empfunden. Daher sollten diese Menschen auch nicht oder nur im äußersten Notfall in ein Krankenhaus eingewiesen werden. Es gibt spezielle Besuchsdienste, die im Notfall Krankenpflege und auch Heimbetreuung ermöglichen. Manche Zentren haben auch Fahrtendienste, die den körperlich gesunden, aber geistig abgebauten Menschen von zu Hause abholen und den aktivierenden Programmen zuführen… Wenn die Betreuungsperson erkrankt oder auf Urlaub gehen will, sind vorübergehende Aufnahmen in einem Pflegeheim möglich (Urlauberbetten). In jedem Fall ist es sinnvoll, sich in einem Heim mit Betreuungs- bzw. Pflegemöglichkeit anzumelden.

Wenn diese Tatsachen auch sehr hart klingen, sie entsprechen der Realität, mit der wir leben müssen. Verschließen wir uns davor, sind Katastrophen vorprogrammiert. Können wir aber uns darauf einlassen, steht einem menschenwürdigen und sicheren Lebensabend nichts im Weg.

Untersuchung und Information, vielleicht auch Therapie, werden durch einen Facharzt für Neurologie durchgeführt. Oft werden weitere Untersuchungen wie z.B. psychologische Testung, Magnetresonanz erforderlich sein, um diagnostische Klarheit zu schaffen. Wichtig sind Anleitungen zu Anpassung des Lebensstils an die jeweilige Situation, Aufklärung und Information für Patienten und auch deren Angehörigen, sowie Anregung zu der einen oder anderen Trainingsmöglichkeit und Übungen für Gehirn und Gedächtnis. Es erscheint sinnvoll, alles koordiniert von einer ärztlichen Stelle aus anzugehen – das kann der Neurologe sein.