Angst und Panik
Angst – ein natürliches Gefühl, wann wird sie zur „Krankheit“
Seit es Lebewesen gibt, die fühlen können, gibt es auch Angst. Die menschliche Gemeinschaft dient seit der Urzeit nicht nur der Teilung von Arbeitsaufgaben, sondern auch der Sicherung unseres Bestehens als Art durch den Schutz der Gruppe. So hat die Angst nicht nur zur Verbesserung unserer Werkzeuge und Technik beigetragen, sondern sie ist auch ein sehr starker Schrittmacher der Sozialisation und damit an der Gesellschaftsform – so wie wir heute leben – stark mitbeteiligt. Vor vielen realen Gefahren haben wir uns zu schützen gelernt und durch unser sog. zivilisiertes Zusammenleben ist auch die größte Gefahr, nämlich die, die von anderen Menschen ausgeht, reduziert. Wenn man die Angst, die Menschen erleiden, messen könnte, so ist sie wahrscheinlich in der Summe für alle Menschen immer gleich groß. Mit anderen Worten: was wir an realer Sicherheit durch Gesellschaft und Technik erreicht haben, öffnet die Schleusen für andere Ängste – und da spielt es keine Rolle, ob diese von anderen Menschen als real oder irreal angesehen werden. Warum das so ist, dafür kann es verschiedene Erklärungen geben. In meinen Ausführungen möchte ich nur auf die Angst als Krankheit eingehen, die Angst, die Menschen in ihrem Leben und ihrer Entwicklung einschränkt, die Angst, die uns auffrisst.
Angst hat viele Gesichter. Ein Thema sind Panikattacken. Das sind Zustände massiver Angst mit körperlichen Begleiterscheinungen wie Schweißausbrüche, Herzrasen, Atemnot, Darmkrämpfen und anderen Beschwerden. Eine andere Form ist die dauernde Angst in mehreren Bereichen, die unser Leben beherrscht, die dritte Form sind die isolierten Phobien, Ängste vor etwas Bestimmtem. Es gibt noch weitere Formen und Kombinationen von allen. Wie können Sie sich helfen?
Das geheime Leiden?
Wir leben mehr denn je in einem Sicherheitsnetz eingebettet. Materiell sind die meisten Menschen abgesichert und auch körperlich sind wir durch verschiedene Sicherheitssysteme geschützt. Auch medizinisch gibt es sehr große Erfolge in der Verhütung von Krankheiten und Zwischenfällen.
Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – leiden so viele Menschen wie noch nie an Zuständen von Angst und Panik. Was kann dem zugrunde liegen?
Ich möchte mich nicht in philosophische und weltanschauliche Fragen versteigen, sondern versuchen auf der rein medizinischen Ebene zu bleiben.
Faktum ist, dass Angst als Fehler angesehen und daher tabuisiert wird. Es gehört sich nicht, Angst zu haben, noch darüber zu reden.
Dennoch sind Angst und angstmachende Zustände immer präsent und verdienen Beachtung. Nicht selten sind diese Symptome das erste vom Patienten wirklich wahrgenommene Signal aus dem Unbewussten.
Formen der Angst
Aus psychotherapeutischer Sicht sind vier Polaritäten der Angst die entscheidende Triebfeder für die Erhaltung des Selbst. Das Einzelindividuum (Subjekt) steht in einem Spannungsfeld aus vier Zielpunkten, die angepeilt, aber nicht erreicht werden können.
Diese in letzter Konsequenz unvereinbaren Ziele entstehen durch die Anforderungen, die unsere Entwicklung zu einem gesellschaftlich akzeptierten Menschen mit sich bringt. Es sind dies:
- Einzigartigkeit (Individuation, Selbstwerdung)
- Selbstaufgabe (vertrauensvolle Öffnung / Hingabe) an die andern.
- Stabilität, anstreben der Dauer und Beständigkeit
- Veränderung, Wandlung und Entwicklung. [1]
Das Spannungspaar Einzigartigkeit – Selbstaufgabe, mit seinen Umgebungs-Objekten in Beziehung wird besonders deutlich in der (primär familiären) Beziehung zu den uns wichtigen Personen (Mutter, Vater, Geschwister …). Diese (sog. Objekte) können die Selbstwerdung stützen oder Vereinsamung bewirken. Sie können aber durch zu starke Anbindung unsere Individuation behindern oder durch Missbrauch unseres Vertrauens unsere Möglichkeit nehmen, uns anderen zu öffnen, zu vertrauen, zu lieben.
Genauso kann das Polaritätenpaar Stabilität – Veränderung durch Erfahrungen mit Extremen der einen oder anderen Seite für uns ganz tiefliegende Probleme beinhalten.
Die Auffassung: „Was ist für mich noch genug, Einzigartigkeit, Selbstaufgabe, Stabilität, Veränderung“ ist sehr unterschiedlich, dadurch auch die Empfindlichkeit für die eine oder andere Störung.
Diesem Modell entsprechend (Riemann) werden die Ängste vier Grundformen zugeordnet:
- Angst vor der Selbsthingabe, vor dem Ich-Verlust, der Abhängigkeit.
- Angst vor Selbstwerdung, Ungeborgenheit und Isolierung.
- Angst vor Wandlung, Unsicherheit und Vergänglichkeit.
- Angst vor Notwendigkeit, Endgültigkeit und Unfreiheit.
Diese Ängste sind in uns allen vorhanden, ihre Ausgewogenheit sichert unsere Persönlichkeit. Die Ängste, die wir zusätzlich benennen können, Angst vor Prüfungen, vor Krankheiten, Infektionen, Unfällen, Einbruch usw. können auf diese Grundformen der Angst zurückgeleitet werden.
So soll gezeigt werden, wie komplex unsere Persönlichkeit ist und wie eng die Ängste mit unseren Zielen und Wünschen zusammenhängen. Dennoch stellen sie für viele Menschen ein großes Problem dar, besonders wenn eine körperliche Komponente vorliegt.
Die körperliche Manifestation der Angst, die Panik.
Panik und Panik-Attacken
Bei Panik erfolgt ein anfallsartiger Ausbruch von Angst und körperlichen Begleitsymptomen (z.B. Atemnot oder Herzrasen), die zusätzlich noch weiter Angst machen. Dadurch entwickelt sich ein Teufelskreis, der sich nur durch tiefgreifende Maßnahmen unterbrechen lässt oder von selbst in Erschöpfung ausläuft.
Therapeutische Maßnahmen bei einer Panikattacke sollen nun nicht nur darauf abzielen, diese zu unterbrechen, sondern die Schwelle für die nächste möglichst hoch zulegen. Zur Unterbrechung dienen:
- Heraus aus der gegenwärtigen Umgebung: ob Arbeit oder Wohnung, Angst will „Flucht“.
- Körperliche Reize: frische Luft, kalte Dusche, Bewegung, Laufen.
- Ablenkung
- Achtung: Zuflucht und Geborgenheit in sicherer Umgebung können trügerisch Rückzug und Abkapselung fördern und damit die Angst verstärken. Dasselbe gilt für Alkohol und „Akut-Medikamente“ oder Bedarfsmedikation.
Bei dieser Allgegenwart der Angst fasziniert uns die Frage, wie es viele schaffen, diese in Schach zu halten und nicht ständig in Angst und Panik zu versinken.
Im Zusammenhang der fachärztlichen Informationsschriften sind nun vor allem körperliche Symptome gemeint, die Angst auslösen können, jedoch auch seelische Probleme, die bewusst oder unbewusst eine Bedrohung darstellen.
Körperliche Zustände
Herzbeschwerden, Schmerzen im Brustkorb oder im linken Arm, Herzrhythmusstörungen, Herzrasen oder einfach ein „Herzgefühl“ sind sicherlich die am häufigsten geäußerten Beschwerden bei Panikerkrankungen.
Atemnot, Würgegefühl, Halsschmerzen, Nackenverspannungen, weiters auch Schwindel und Gleichgewichtsstörungen sind ebenfalls Symptome, die mit Angst und Panik oft gemeinsam geäußert werden.
Auch Störungen der Verdauung, Magenschmerzen, Durchfall oder Blähungen sind sehr häufig bei Menschen mit Panikerkrankungen anzutreffen.
Der Zusammenhang all dieser Beschwerdebilder liegt auf der Hand: Unser vegetatives Nervensystem stellt sich auf „Stress“, das heißt Kampf oder Flucht ein, wenn eine be-ängst-igende Situation auftritt. Dadurch schlägt das Herz schneller, die Muskeln werden aktiver, ihr Tonus erhöht. Das Verdauungssystem arbeitet auf einem Minimum und versucht alles auszuscheiden, was uns belastet, anstatt zu resorbieren.
Der Teufelskreis „Stress“
Diese vegetative Stress-Reaktion führt zur Verschärfung der körperlichen Symptome und startet damit einen Teufelskreis, der in der Panikattacke gipfelt. Die Körperzeichen werden als ängstigend interpretiert und steigern ihrerseits den Stress, wodurch sie noch schlimmer werden. Einige Zeit gelingt es, die aufsteigende Panik zu unterdrücken, dann bricht sie durch, wie Wasser durch einen berstenden Staudamm. In der Panik erlebt sich der Betroffene als völlig hilflos und ausgeliefert. Der gerufene Notarzt oder die Rettung können, wenn körperliche Zeichen fehlen, oft durch einfache Maßnahmen helfen, manchmal werden die Patienten ins Krankenhaus eingeliefert.
Panik ist lernbar
Leider bahnt jede Panikattacke die nächste, es entsteht eine „Angst vor der Angst“. Medikamente, die in der Panikattacke selbständig eingenommen werden, können, diesen Mechanismus im Sinne einer Prägung (Konditionierung) nur noch weiter verstärken.
Den Angstkreis aufbrechen…
Einfache Maßnahmen, die den Zyklus unterbrechen wie kalte Güsse oder äußere Ereignisse helfen schon vielen Menschen. In der Panik werden sie aber oft vergessen. Die Verhaltenstherapie arbeitet nach dem Ansatz der schrittweisen Desensibilisierung und der Stressbewältigung.
Andere Arten von Psychotherapie (z.B. systemische Therapie, analytische
Therapien usw.) bieten daher hinaus noch die Möglichkeit in die Tiefe
zugehen und die Ursachen der Angst in den Griff zu bekommen. Manche Medikamente (Antidepressiva) können den Angstpegel allgemein reduzieren und die innere Unsicherheit verringern. Oft sind aber auch tiefergehende psychotherapeutische Maßnahmen sinnvoll, besonders dann, wenn der Zugang zu den eigenen Gefühlen verschüttet ist und die inneren Ressourcen nicht in Anspruch genommen werden können. Dies kann vor allem bei belastender Kindheit und Jugend, bei schlimmen, traumatischen Ereignissen der Fall sein.
Andere Formen der Angst
Panik – die körperliche Manifestation der akuten Angst ist nur eine Facette des – in seinen Ursachen und Formen sehr vielgestalten Symptomenkreis „Angst“.
Neurotische Störungen (Angst- oder Zwangsneurose), aber auch Gemütserkrankungen (Depression) und Psychosen (z.B. paranoide Schizophrenie) weisen Angst als „Leitsymptom“ auf. Nicht selten ergeben sich aus den Mechanismen, die Angst zu vermeiden, schädigende Verhaltensweisen (Vermeidungsverhalten, Vereinsamung, Zwangsstörungen, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch). Erst eine sinnvolle medizinisch-psychotherapeutische Behandlung kann nicht nur das Symptom, sondern auch die ihm zugrunde liegenden Ursachen aufklären und bekämpfen.
Angst als Motor und auch als Hemmschuh; Angst ist allgegenwärtig und es erscheint wie eine Sacher der „inneren Haltung“, wie wir mit ihr umgehen. Psychotherapie, als Weg zur Balance zwischen Autonomie und Hingabe, zwischen Stabilität und Entwicklung ist der am meisten bewährte Ansatz zu Heilung der Angst-Störung.
Hier ist es an der Zeit, über den eigenen Schatten zu springen und die Behandlungsangebote anzunehmen.